Barrierefrei – Bedeutung und Ambiguität.
Barrierefrei – Bedeutung und Ambiguität eines vielfach verwendeten Begriffs.

Der Begriff „barrierefrei“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Schlagwort geworden, wenn es um Inklusion, Gleichstellung und Zugänglichkeit in unserer Gesellschaft geht. Besonders im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung, seniorengerechtem Wohnen oder digitalen Angeboten taucht das Wort häufig auf. Doch was genau bedeutet barrierefrei eigentlich? Und ist es wirklich so eindeutig, wie es scheint? Ein näherer Blick zeigt: Der Begriff ist nicht nur vielschichtig, sondern in seiner praktischen Anwendung auch oft ambivalent.
Was bedeutet eigentlich barrierefrei?
Barrierefreiheit bezeichnet grundsätzlich die Möglichkeit, dass Menschen – unabhängig von körperlichen oder kognitiven Einschränkungen – alle Lebensbereiche gleichberechtigt nutzen und erreichen können. Ziel ist es, Hindernisse zu beseitigen, die Menschen an der gesellschaftlichen Teilhabe hindern.
Laut § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) ist etwas dann barrierefrei, „wenn es für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar ist“. Diese Definition umfasst sowohl bauliche Anlagen wie öffentliche Gebäude, Verkehrsmittel, Informationsangebote, digitale Anwendungen als auch Dienstleistungen.
Doch Barrierefreiheit ist nicht nur eine technische oder bauliche Eigenschaft – sie ist ein gesellschaftliches Konzept. Sie soll Chancengleichheit schaffen und Diskriminierung abbauen. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel:
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Stufenlose Zugänge und Aufzüge in Gebäuden
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Rollstuhlgerechte Toiletten
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Leichte Sprache und Gebärdensprache in Informationsmaterialien
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Untertitel oder Audiodeskriptionen in Videos
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Websites, die auch mit Screenreadern oder Tastaturnavigation funktionieren
Ambiguität in der Bedeutung – warum barrierefrei nicht immer klar ist.
Obwohl das Ziel der Barrierefreiheit klar definiert ist, gibt es zahlreiche Mehrdeutigkeiten und Missverständnisse, die mit dem Begriff einhergehen.
1. Subjektive Wahrnehmung von Barrieren
Was für die eine Person barrierefrei ist, kann für eine andere weiterhin ein Hindernis darstellen. Ein Gebäude mit einem Aufzug mag für Rollstuhlfahrende gut erreichbar sein, doch eine blinde Person könnte ohne taktile Leitsysteme oder kontrastreiche Beschilderung trotzdem auf Barrieren stoßen. Ebenso kann eine Website formal barrierefrei sein, aber in der Praxis schwer verständlich oder nicht intuitiv bedienbar.
2. Barrierefrei ≠ barrierearm
Oft wird der Begriff „barrierefrei“ verwendet, obwohl lediglich einige Hürden reduziert, aber nicht vollständig beseitigt wurden. Das führt zur Verwässerung des Begriffs. Ein Gebäude mit einem Treppenlift ist zum Beispiel barrierearm, aber nicht barrierefrei im Sinne der Gesetzgebung – vor allem dann nicht, wenn der Lift nur mit Hilfe Dritter bedient werden kann.
3. Marketing und Symbolik
In Werbung und öffentlicher Kommunikation wird „barrierefrei“ häufig inflationär gebraucht – als positiv besetzter Begriff, der ein Angebot als modern, inklusiv oder kundenfreundlich darstellen soll. Tatsächlich fehlt jedoch oft eine Prüfung, ob die gesetzlichen und praktischen Anforderungen tatsächlich erfüllt werden. So entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit, das zu Enttäuschungen bei Betroffenen führen kann.
Zwischen Anspruch und Realität
Barrierefreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und ein wichtiger Bestandteil einer inklusiven Gesellschaft. Sie ermöglicht Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung – für Menschen mit Behinderungen ebenso wie für ältere Menschen oder Familien mit kleinen Kindern. Doch die tatsächliche Umsetzung ist komplexer, als es der Begriff vermuten lässt.
Die Ambiguität des Begriffs zeigt, dass ein differenzierter Umgang mit dem Thema notwendig ist. Es reicht nicht, Barrierefreiheit als Checkliste zu verstehen, die einmal abgehakt werden kann. Vielmehr handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess, der auf Empathie, Praxiserfahrung und Fachwissen basiert.
Umso wichtiger ist es, dass der Begriff nicht inflationär gebraucht, sondern ernst genommen wird – im Planungsbüro, in der Softwareentwicklung, im öffentlichen Raum und in der Kommunikation. Nur so kann echte Barrierefreiheit entstehen – und nicht nur ein Etikett, das Erwartungen weckt, aber keine Wirklichkeit schafft.